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Alles öko, oder was?

15.09.2020

Nachhaltig: Ein Wort, in aller Munde und in Bezug auf Sternegastronomie trotzdem meist mehr schales Amuse-Bouche als tatsächlich geschwungene Moralkeule. „Man kann sich auch in der Mitte treffen“, sagt Eneko Atxa. Er muss es wissen – als Sternekoch und Kopf des ersten ökologisch-nachhaltigen Restaurants Spaniens.

Ganz ehrlich: Welche Bilder kommen Ihnen bei den Begriffen „nachhaltig“, „ökologisch“ und „umweltbewusst“ als erstes in den Sinn? Wohl eher Grünkernbratlinge und Gesundheitslatschen als gerösteter Hummer auf neolithverkleideten Tischen? Man kann es Ihnen nicht verübeln – stand doch der „Öko“ lange Zeit für einen spaßbefreiten Lebensentwurf, Geschmacksnuance moralinsauer. Alles Schnee von gestern, denn Fakt ist: Deutschland ist schon heute eines der Umweltmusterländer der Welt, der Kurs von Politik und Industrie ist – wie passend – zunehmend grün. Längst gehören wir global gesehen zu den Strebern in Sachen Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Aber sind wir deshalb auch gleich alle Ökos? Eneko Atxa kann die Aufregung nicht verstehen: „Was ist denn schlecht daran, ein Umweltfreund zu sein?“ Als Chefkoch des Azurmendi in Bilbao hat der charismatische Baske gut Reden, schließlich wurde das Drei-Sterne-Restaurant zur Nummer eins des europaweiten Nachhaltigkeitswettbewerbs Opinionated About Dining ernannt und erst letztes Jahr mit dem Westholme Highest Climber Award ausgezeichnet. Doch was macht den Besuch des Azurmendi zu einem – wortwörtlich – nachhaltigen Erlebnis?

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Der mit dem grünen Daumen pflanzt

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Da wäre zum einen die Lage: In die satten Weinberge der Bizkaia gebettet, überzeugt der gastronomische Komplex schon durch seine bioklimatische Bauweise. So verfügt das Azurmendi neben Photovoltaik-Panels und einem Wasseraufbereitungssystem über eine geothermale Anlage, die sich der regenerativen Energiequellen vor Ort bedient. „Außerdem haben wir einen restauranteigenen Garten und ein Gewächshaus, in dem wir Gemüse- und Obstarten aus der Gegend anbauen.“ 

Alte Sorten feiern hier neben saisonalen Spezialitäten ihr Revival – und das „auf“ wahrhaft gutem Grund, wie Atxa verrät: „Bei uns stimmt der ökologische Kreislauf: Wir produzieren unseren Kompost selbst.“ Wenn man dem 39-Jährigen so zuhört, beschleicht einen schnell das Gefühl, dass man es hier vielmehr mit einem Landwirt als mit einem Koch zu tun hat. Atxa antwortet mit einem Augenzwinkern: „Vermutlich liegen Sie da nicht ganz falsch.“ Nur zu gerne besinnt er sich bei Führungen durch den Gemüsegarten seiner baskischen Wurzeln und erklärt den Gästen, was aus ebenjenen wachsen kann. Sein aktueller Favorit: Eine alte Paprikaschotenart mit dem klangvollen Namen „Pimientos de la barranca“.

Öko 2.0

Einen Gruß aus der Küche gefällig? Dann dürften die kleinen Aperitivos beim Steh-Picknick im Atrium des Restaurants das Richtige für Sie sein. Hier treffen sich unter einem großen Glasdach zahlreiche Bauelemente aus Stahl, Sichtbeton und Holz – ganz viel Holz. „Die Gäste fragen sich immer wieder, wie wir die beiden großen Bäume ins Innere bekommen haben.“ Und die Antwort liegt näher, als man denkt: „Tatsächlich waren sie schon da, bevor wir mit dem Bau begonnen haben – altes Kulturgut quasi.“

Die Heimatverbundenheit des sympathischen Basken ist im Azurmendi allgegenwärtig, so auch in der Küche, in die uns die nächste Station unseres kulinarischen Lustwandels führt. Mit einem Gläschen typisch baskischem Txakoli-Wein in der Hand sehen wir Atxa und seinem internationalen Team dabei zu, wie sie die Menüs für den Abend vorbereiten. Dabei geht es vonstatten wie in einem Labor: Vakuumieren, Extrahieren und Zentrifugieren – ganz schön viel Aufwand, um letztlich das ursprüngliche Aroma einzufangen … Atxa lacht: „Genau das ist das Ziel von Sterneküche: Den Urgeschmack in seiner ganzen Reinheit zu entfalten.“

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Und Urgeschmack ist ein gutes Stichwort. Das Azurmendi-Erlebnis geht nun in den Räumlichkeiten des Restaurants in seine finale Runde. Schon beim Betreten fällt die großzügige Glasfront ins Auge, die einen atemberaubenden Blick auf die Skyline Bilbaos und die umliegenden Weinberge freigibt. Urban trifft auf ursprünglich – ein Konzept, das auch bei der Gestaltung des Interieurs Anwendung fand, wie Atxa verrät: „Von den Tischen über die Stühle bis zur ausgestellten Kunst, alles stammt ausschließlich aus baskischer Hand.“ Man könnte sich jetzt fragen, ob das nicht vielleicht ein wenig radikal ist; wir aber sind von der Idee schon längst überzeugt. Schick ist sie, die nachhaltige Einrichtung, da gibt es kein Wenn und Aber. Und das Essen? Ebenfalls alles aus der Gegend, ebenfalls öko. Logisch.

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Während das Menü Erroac (deutsch: Wurzel) die Klassiker des Azurmendi abdeckt, wagt sich Atxa mit Addarat (deutsch: Zweig) an neue Kreationen wie Streifenbarbe auf einem Algen-Origami oder umgekehrt gekochtes Ei mit Trüffel. Ein weiteres „Must-Eat“: der Blumenkohl auf heißen Kohlen. Hört sich lecker an? Das ist es auch! So langsam aber sicher wird uns klar, dass hier Abbitte fällig ist … Der Maestro kann sich ein Lachen nicht verkneifen: „Ich könnte ja jetzt sagen: ‚Hab ich’s nicht gleich gesagt!‘ Aber im Ernst: Was gibt es Schöneres, als dass Nachhaltigkeit und Genuss Hand in Hand gehen?“ Wir sagen: Recht hat er! Nach einem Abend im Azurmendi sind wir nicht nur nachhaltig beeindruckt – wir sind auch ein bisschen stolz, heute ganz öko gewesen zu sein. Ein Gefühl, an das man sich gewöhnen könnte …